David Reed

Wenn ich zu Fuss durch Manhattan gehe fasziniert mich der Anblick von Menschen und Autos, die um eine Ecke verschwinden. Einen schwebenden Augenblick lang scheint es, als gäbe es sie nicht ganz; der nicht sichtbare Teil ist nicht mehr da, und womöglich sehen wir ihn nie wieder. Ähnliches erfahre ich in jüngster Zeit in meiner Malerei: Verlieren und Finden, Intuition und Instinkt.
—David Reed

Gagosian präsentiert Losing and Finding, eine Ausstellung mit Bildern aus der jüngsten Schaffensperiode von David Reed.

Als Reed 1966 aus Südkalifornien nach New York kam, wurde er mit dem skeptischen Hinterfragen der weiteren Nützlichkeit der Malerei und – namentlich seitens seiner Lehrer an der New York Studio School – mit dem Festhalten am gestischen Farbauftrag konfrontiert. Von 1974 bis 1975 fügte er die beiden gegensätzlichen Strömungen zu einer Reihe von gelängten, abstrakten Leinwänden mit vorwiegend schwarzen oder roten, von links nach rechts, von oben nach unten und zuweilen diagonal gesetzten Pinselspuren (Brushmarks) zusammen.

Nach diesen ersten Brushmark-Arbeiten wandte sich Reed systematischen Malprozessen zu, die für gewöhnlich mit den Skulpturen des Minimalismus und Postminimalismus in Verbindung gebracht werden: Die Bedeutung des Bildes verblasst; es wird zum blossen Zeugnis des Augenblicks, aus dem es hervorging. Reeds Malerei bleibt zwar abstrakt, doch er greift nach und nach auch auf Formate und Praktiken zurück, die der Film- und der Videokunst entlehnt sind. Die Ausstellung in Basel baut auf den Ausstellungen Painting Paintings (David Reed) 1975 (2017) und New Paintings (2020) auf, die beide von Gagosian New York gezeigt wurden.

In seinen neuen, langgestreckten Gemälden – eine erweiterte Version eines seiner üblichen Formate – bedient sich der Künstler neuer Materialien und Techniken, namentlich Schablonen und Schleifvorgänge. Er verwendet digital angefertigte, lasergeschnittene Schablonen, die oftmals den Pinselspuren des jeweiligen Vor-Bildes entnommen sind. Dadurch lässt sich bei einigen Werken ein Schablonenmotiv mit dem ursprünglichen, von Hand aufgetragenen Bildelement direkt vergleichen. Die in Schablonen geschnittenen Brushmarks werden in die Fläche verschmolzen und nicht wie bei einer Collage überlagert. Reed hält es für unmöglich, eine Pinselspur zu replizieren, betrachtet jedoch genau dieses Scheitern als den Aufbruch zu neuen Möglichkeiten. Auch die leuchtende Farbgebung ist neu, doch an den starken Hell-Dunkel-Kontrasten früherer Werke hält der Künstler fest. Zuweilen ergibt sich die Farbe aus dem malerischen Gestus, wenn beispielsweise Gelb auf Schwarz trifft und daraus ein verblüffender Grünton entspringt. Reed erklärt, bei diesen Bildern gehe es mehr um das Unerwartete, welches Malgesten hervorzubringen vermögen, als um Gesten als Selbstzweck.

In mehreren weiteren neuen, grossflächigeren Werken wendet sich Reed vom schmalen, säulenartigen Format ab. Es ermöglichte ihm, seine Bilder während der COVID-19-bedingten Isolation ohne fremde Hilfe zu transportieren. Mit den grösseren Bildern knüpft er nun bezüglich Format und Palette an seine Ausstellung 2020 in New York an und verwendet nebst Schwarz und Weiss sowie starken Hell-Dunkel-Kontrasten abermals leuchtende colore cangiante. In diesen Bildstrukturen treffen schablonierte Malgesten auf geschichtete, sich überschneidende Formen, die an Filmstreifen erinnern. Und auch hier entpuppt sich das auf den ersten Blick spontan Hinzugefügte häufig als aufwendig angefertigtes und sorgfältig positioniertes Bildelement, das sinnbehaftete Spannung erzeugen soll. Reed hat auch den Oberflächenaufbau seiner Bilder aktiviert und darin Einschnitte angebracht, um auf die grundlegende Eigenständigkeit der einzelnen Elemente zu verweisen und sie gleichzeitig in einen Dialog treten zu lassen. Mit dem Nebeneinander von Undurchsichtigem und Lichtdurchlässigem, von Improvisiertem und Geplantem vermittelt Reed das Zusammenwirken unterschiedlicher Methoden, Narrative und Zeitabläufe.